„Große Werke in kleiner Besetzung dem Publikum näher zu bringen, das ist das anspruchsvolle und mutige Konzept von Klassikamplatz.at. im nördlichen Weinviertel.
Den Anfang auf der „Gstettenbühne“ macht ein erstklassig besetztes Konzert mit zwei Werken aus der Zeit des fin de siècle. Maurice Ravels Ma mère l’oye (Mutter Gans) entstand in den Jahren 1908-1911 in mehrere Fassungen, von denen die instrumentale 1911 uraufgeführt wurde. Das vom Intendanten und musikalischen Leiter von Klassik am Platz, Matthias Fletzberger, eigens für dieses Weinviertler Festival zusammengestellte dreizehnköpfige Ensemble am Platz taucht bei diesem Werk ein in eine zauberhafte Welt von betörender Schönheit.
Was folgt, gehört zum Schönsten und Ergreifendsten, das Mahler geschrieben hat. Das Lied von der Erde, wie Ravels Märchensuite 1908 entstanden, ist ein wehmutsvolles, von Trauer, Abschied und immer wieder aufbrechender, verzweifelter Lebenslust umwehtes Werk.
Benjamin Bruns ist ein hervorragender Gestalter dieser abgrundtiefen Strophen. Ein hellklingender Tenor mit emotionaler Ausdrucksstärke und der Fähigkeit, Spannungsaufbau und – abfall wirkungsvoll zu gestalten, was er auch im zweiten Trinklied, „Der Trunkene im Frühling“ sowie im Lied „Von der Jugend“ unter Beweis stellen kann, die jeweils kann grundsätzlich andere Stimmungen reflektieren. Ist in dem einen das Weintrinken ein Mittel zur beschwingten Weltflucht, geht es im anderen um eine impressionistische, japonisierende bzw. chinoiserierende Beschreibung des Zustands jugendlicher Unbekümmertheit. Hervorzuheben ist die Wortdeutlichkeit des Vortrags bei Bruns Debüt in dieser Partie.
Bruns Partnerin auf dem Podium ist die deutsche Sängerin Nadine Weissmann, die in Mahlers Lied von der Erde ebenfalls erstmals auf der Bühne steht. Die hochgelobte Wagner-Interpretin, mit Auftritten in Bayreuth und bei den Salzburger Festspielen, verfügt über einen hell-timbrierten, voluminösen Mezzosopran und weiß ihre wohltönende Stimme fein modulierend einzusetzen. Mit dem einfühlsam gestalteten letzten Teil, „Der Abschied“, liefert sie den erwarteten Höhepunkt des Abends. Mahlers Anweisung zu diesem halbstündigen Finale lautet „Schwer“. Wie singt man „schwer“? Auslotend und ernst gestaltet Weissmann das lange Ringen hin zum transzendierenden Höhepunkt auf einer Reise, die aus tiefer Einsamkeit in die Ewigkeit, vielleicht aber auch ins ewige Nichts führt.
Matthias Fletzberger und sein Ensemble begleiten die Sängerin aufmerksam und höchst präsent auf diesem schweren Weg. Besonders eindrucksvoll der instrumentale Trauermarsch, der in unvermittelte Tamtamschläge mündet und noch einmal Hoffnung und Aufbruch signalisiert, bevor es unweigerlich zum endgültigen Abschiednehmen kommt.
Ein großer Konzertabend mit leider viel zu wenig Publikum.“
Manfred A. Schmid / Der Neue Merker, 07. August 2021
Fotos: © Gesine Görlich-Fletzberger